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Zur Unzeit herzkrank: Zeitstrukturen des guten Lebens in der Psychokardiologie

„Die Herzerkrankung hat mich zu einem alten Mann gemacht“ - Die Erfahrung „plötzlich vorgealtert“ zu sein, stellt ein häufiges Phänomen bei Personen im mittleren Lebensalter dar, die am Herzen erkrankt sind. Demgegenüber haben Erwachsene mit einem angeborenen Herzfehler (EMAH) Schwierigkeiten, die altersentsprechenden Entwicklungsschritte gehen zu können, sodass Gefühle des „Andersseins“ im Vergleich zu Gleichaltrigen auftreten können. Bei beiden Gruppen kann es in der Folge zum Auftreten psychischer Störungen sowie zu psychosomatischer Symptombildung kommen.

Im psychokardiologischen Teilprojekt 3 werden Veränderungen im Erleben und Gestalten von Zeit bei Menschen untersucht, die von einer vorzeitigen und damit subjektiv oft „unzeitigen“ Erkrankung des Herzens als sinnbildlichem Taktgeber des Lebens betroffen sind. Dafür werden Aspekte wie Zeitsouveränität, Generationenbeziehungen sowie die Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Blick genommen und hinsichtlich möglicher Auswirkungen der Herzerkrankung auf Lebensqualität sowie das konzeptuell breitere „gute Leben“ untersucht.

Die Frage nach dem individuellen Zeiterleben und subjektiven Vorstellungen des „guten Lebens“ im Kontext der Erkrankung wird im Rahmen unserer qualitativen empirischen Querschnittsstudie mittels semi-strukturierter Interviews an zwei Gruppen untersucht: einerseits jungen Patient*innen mit angeborenem Herzfehler (im Alter von 18-30 Jahren), sowie deren Angehörigen, und andererseits Patient*innen mit erworbener Herzkrankheit (Alter zwischen 30 und 59 Jahren).

Die Gespräche werden audio- und videographiert und im Anschluss mit phänomenologisch-hermeneutischen und psychodynamischen Methoden ausgewertet. Dafür stehen die wissenschaftlich gut etablierten Methoden der Interpretativ-phänomenologischen Analyse (Smith et al. 2009) sowie der OPD-2 (Arbeitskreis OPD 2014) und des Zentralen Beziehungskonfliktthemas (Luborsky 1990) als Auswertungstechniken zur Verfügung. Komplettiert wird die Diagnostik durch eine psychopathologische Einschätzung mithilfe des Diagnosemanuals ICD-10. Inwiefern dadurch auch an ältere (u.a. Minkowski, Straus, von Gebsattel, Blankenburg) oder neuere phänomenologisch-psychopathologische Konzeptionen (u.a. Ratcliffe, Fuchs, Stanghellini, Parnas) angeknüpft werden kann, bleibt abzuwarten. In einer anwendungsorientierten Perspektive soll ferner geprüft werden, ob und wie das Konzept der Lebensqualität durch unsere qualitativen Ergebnisse um wichtige subjektive Erfahrungen und Vorstellungen des „guten Lebens“ ergänzt und erweitert werden kann.