Videodokumentation Seconds, Minutes, Aeons (2021) from Claudia Kübler.
Medizin und die Zeitstruktur guten Lebens

Die DFG-Forschungsgruppe FOR 5022 widmet sich den Wechselbeziehungen zwischen Medizin und der Zeitstruktur guten Lebens. Wir untersuchen in Verknüpfung philosophischer und angewandt ethischer sowie empirischer sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungsperspektiven, welche Bedeutung medizinische Möglichkeiten für die zeitlichen Aspekte eines guten Lebens haben und welche Rolle zeitliche Aspekte eines guten Lebens umgekehrt für die Einschätzung medizinischer Möglichkeiten spielen. Dabei stehen drei Praxisfelder im Mittelpunkt: erstens die Untersuchung biographischer Phasen und Übergänge in der Behandlung chronisch Herzkranker im jungen und mittleren Erwachsenenalter, zweitens zeitliche Planungs-, Steuerungs- und Optimierungsbemühungen im mittleren Lebensalter im Kontext der Fortpflanzungsmedizin und drittens die (Neu-)Verhandlung des Alterns in der Gesundheitsversorgung älterer Menschen.
In der ersten Förderperiode (Mai 2021 – April 2025) stand zunächst die biographische Zeitlichkeit des Individuums im Vordergrund. Die Forschungsarbeit brachte jedoch zunehmend auch die Relevanz von überindividuellen und vor allem intergenerationellen Zeitdimensionen zutage. Mit dem Schwerpunkt der Generativität stellen wir daher in der aktuellen Förderperiode (Mai 2025 – April 2029) die Frage in den Fokus, inwiefern für ein gutes Leben relevant ist, sich auch über die eigene Lebenszeit hinaus zu orientieren, etwa mit Hinblick auf die Sorge um das Gedeihen der eigenen Nachkommen oder Formen der Weitergabe an künftige Generationen im Allgemeinen. Welche Relevanz kommt derartigen Perspektiven für ein gutes Leben im Horizont medizinischer Möglichkeiten zu und welche Implikationen haben medizinische Möglichkeiten umgekehrt für Generativität als Element eines guten Lebens? In theoretisch-methodologischer Hinsicht erfordert die Bearbeitung dieser Fragestellung insbesondere eine systematischere Berücksichtigung der Bedeutung narrativer Formen der Gestaltung und Vermittlung individueller und überindividueller Zeitstrukturen.
In dieser erweiterten Forschungsperspektive untersuchen wir mit Blick auf chronische Herzerkrankungen, welche Rolle Motive generativer Gabe und Weitergabe aus Sicht betroffener Personen unterschiedlichen Geschlechts und Lebensalters für ein gutes Leben spielen und wie sie sich angemessen in Lebensqualitätsinstrumenten erfassen lassen (Teilprojekt C). Am Beispiel von Infertilität, Schwangerschaftsverlust und Schwangerschaftsabbruch wird analysiert, welche Implikationen ein unfreiwilliger oder gar freiwillig herbeigeführter Bruch in der Generativität für ein gutes Leben hat (Teilprojekt D). Schließlich gehen wir hinsichtlich der Gesundheitsversorgung im höheren Lebensalter der Bedeutung der generativen Einbettung des endlichen individuellen Lebens in übergreifende soziale und intergenerationelle Zusammenhänge nach (Teilprojekt E und Teilprojekt F). Anhand von fernsehwissenschaftlichen Analysen reflektieren wir des Spannungsverhältnisses individueller Narrationen und medial vermittelter gesellschaftlicher Narrative (Teilprojekt B). Gerahmt wird die Ausweitung unseres Forschungsinteresses an Zusammenhängen von Zeit und gutem Leben im Horizont der Medizin durch eine grundlegende philosophische Analyse der Bedeutung überindividueller Zeitstrukturen für ein gutes Leben (Teilprojekt A). Unser Zentral- und Integrationsprojekt führt die Ergebnisse beider Förderperioden synoptisch zusammen und reflektiert diese mit dem Fokus auf der Relevanz von biographischer und generativer (Dis-)Kontinuität für ein gutes Leben.
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